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Cooles Image - miese Bedingungen

Gorillas

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ver.di will Organisierung der Beschäftigten unterstützen
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Gorillas ist einer der großen Player auf dem schnell wachsenden und hart umkämpften Markt des Lebensmittelonlinehandels. Das erst 2020 gegründete Unternehmen hat nach eigenen Angaben über 10.000 Beschäftigte in 18 deutschen Städten und einem halben Dutzend Staaten. Ihr Versprechen: In zehn Minuten werden die online bestellten Waren des täglichen Bedarfs vom Warenlager in Innenstadtlage an die Wohnungstür gebracht. Der Preis: Niedrige Löhne, die zudem unregelmäßig ausgezahlt werden und mangelnder Arbeitsschutz für die Rider, wie die Fahrrad fahrenden Beschäftigten genannt werden.

Gorillas ist das erste Unternehmen, bei dem sie sich die harten Arbeitsbedingungen und die fehlende Mitbestimmung nicht mehr bieten lassen wollen. Es gibt weder einen Betriebsrat noch einen Tarifvertrag. Beschäftigte organisierten sich im Gorillas Workers Collective und setzen sich zu Wehr.

Von der Unzufriedenheit zum wilden Streik

Sie hatten Anfang Juni zu wilden Streiks aufgerufen, nachdem es schon Monate zuvor im Unternehmen gebrodelt hatte. Die Kritik hatte sich entzündet, als das Unternehmen nur zögerlich die Anordnungen aus der Berliner Infektionsschutzverordnung umsetzte, keine Corona-Tests oder ausreichend Schutzausrüstung zur Verfügung stellte. Schon im letzten Winter hatten die Rider*innen, wie die Fahrer*innen bei den neuen Lieferdiensten im Lebensmittelonlinehandel genannt werden, die Arbeit niedergelegt, um durchzusetzen, dass sie zur Jahreszeit passende Kleidung bekommen. Unterstützung erfuhren sie unter anderem von den Pickern, denjenigen, die in den Lagern die bestellten Waren in Windeseile zusammensuchen müssen.

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Als die Unternehmensleitung am 9. Juni einem Rider fristlos kündigte, reichte es den Beschäftigten. Santiago, der gekündigte Rider, informierte einige Kolleg*innen, die Nachricht verbreitete sich schnell in der Belegschaft, und noch am gleichen Tag beschlossen etliche Rider*innen, die Arbeit am Auslieferungslager „Charlie“ am Checkpoint Charly in Berlin-Mitte einzustellen. Kolleg*innen an weiteren Standorten folgten ihnen, der Betrieb in mehreren Lagern war in den Folgetagen gestört und teilweise unterbrochen – denn wenn niemand aufs Fahrrad steigt, kann auch niemand die bestellten Waren in zehn Minuten liefern.

In einem Bericht des Magazins „jetzt“ (https://www.jetzt.de/politik/zoff-bei-lieferdienst-gorillas-mitarbeiter-streiken) nennt ein Kollege die Kündigung von Santiago einen „Vergeltungsschlag“, denn erst am 3. Juni hatte das Workers Collective die erste Betriebsversammlung organisiert. Die Beschäftigten wählten dort einen Wahlvorstand, der die erste Betriebsratswahl durchführen wird.

Nach den wilden Streiks Anfang Juni bekamen die Gorillas-Beschäftigten große Aufmerksamkeit – medial, gesellschaftlich und aus der Politik. Zuletzt hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sich mit Ihnen beim Warenlager in Kreuzberg getroffen und mit ihnen über die aktuelle Situation gesprochen. Er ließ sich von mangelndem Arbeits- und Brandschutz berichten, von Kündigung und der sechsmonatigen Probezeit bei einjährigen Arbeitsverträgen. „Für mich ist wichtig, dass sich auch neu gegründete Unternehmen in Deutschland an geltendes Recht halten“, sagte Heil zu den Beschäftigten und sprach sich erneut für eine Reform des Teilzeitbefristungsgesetzes aus, um die Praxis der sachgrundlosen Befristungen zu beenden.

Den Kolleg*innen riet er, in ihren Bestrebungen einen Betriebsrat zu gründen, nicht nachzulassen. Sollte  der Arbeitgeber versuchen, das zu verhindern, begehe er eine Straftat, die angezeigt werden müsse.

Das Workers Collective zeigte sich enttäuscht von dem Besuch, weil es vom Minister mehr Unterstützung für den Streik erwartet hatte, berichtete unter anderem die „Zeit“ (https://www.zeit.de/wirtschaft/2021-07/gorillas-arbeitsschutz-hubertus-heil-fahrer-rechte-kuendigung-streik).

Die Geschäftsleitung hatte ihrerseits angekündigt, dass sie die Gründung eines Betriebsrats „uneingeschränkt unterstützen“ wolle. Dazu gehört laut einem Statement vom 15. Juli, dem gewählten Wahlvorstand Räumlichkeiten und Material für Versammlungen zur Verfügung zu stellen.

ver.di bietet Unterstützung an

„Jetzt muss das Management auch Taten folgen lassen. Gorillas ist ein junges Unternehmen, in dem sich demokratische Mitbestimmungsstrukturen entwickelt müssen, Das ist wichtig, um die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu verbessern und ihre Interessen durchzusetzen,“, sagt Maren Ulbrich von ver.di. Sie ist Gewerkschaftssekretärin im Fachbereich 12 Handel. Zusammen mit ihrem Kollegen Daniel Nikolovic will sie für ver.di die Gorillas-Beschäftigten bei der Betriebsratsgründung unterstützen. Weitere Gespräche wie das konkret aussehen kann, sind geplant. „Wir lernen uns kennen und nähern uns Schritt für Schritt an“, sagt Nikolovic. In den letzten Wochen musste jedoch erst einmal die Zuständigkeit innerhalb der DGB-Familie geklärt werden. Die Schwestergewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten organisiert beispielsweise Lieferando. ver.di ist zuständig für die Unternehmen Gorillas, Wolt, Getir und ähnliche. „Lieferando bringt Essen aus Restaurants zu den Menschen nach Hause“, sagt Ulbrich. „Das ist ein Bereich der NGG. Aber die Gorillas liefern eigene Waren des täglichen Bedarfs aus. Es handelt sich um einen pure Player im Lebensmittelonlinehandel, und für den Handel sind wir zuständig. Mit der NGG sind wir in einem guten Austausch.“

Allein in Berlin geht es um rund 3000 Beschäftigte und damit um die Gründung eines 21-köpfigen Betriebsrates. Gorillas wurde im Jahr 2020 gegründet, die Beschäftigtenzahl ist innerhalb kurzer Zeit in die Höhe geschnellt.

Ein Rider bringt es in einem Video-Bericht von „Supernova – das Leftstyle-Magazin“ auf den Punkt: „Die Auslieferungszentren befinden sich in den coolen Stadtteilen wie Prenzlauer Berg. Sie verkaufen dieses richtig coole Image. Wenn wir aber hinter den Vorhang schauen, sehen wir, was es wirklich ist: migrantische Arbeit zum Mindestlohn.“

Die Lieferdienste sind ein riesiger Wachstumsmarkt, und der verspricht satte Renditen für Investoren. Seit der Gründung 2020 sammelte Gorillas hunderte Millionen Euro Kapital ein, die Marktbewertung lag im Juni 2021 bei einer Milliarde Euro. Doch wie so oft landen die Profite nicht in den Taschen derer, die sie erwirtschaften – in diesem Fall der Rider*innen, die tagtäglich durch die Straßen der Stadt hetzen, um der digitalen Wohlstandgesellschaft jeden Wunsch nahezu in Echtzeit zu erfüllen.

Autor/Quelle: jme